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Auf
den ersten Blick mag es
befremdlich erscheinen,
wenn eine umfangreiche
Ausstellung eines Künstlers,
der mehr als 55 seiner
77 Lebensjahre
unglaublich produktiv
war, nur Bilder aus den
letzten dreizehn
Schaffensjahren enthält.
Aber schon eine erste
Durchsicht des
Ausgestellten zeigt
eine Vielfalt von
Bildthemen, die dem
gewohnten
Hofer-Betrachter
bekannt, zumindest
vertraut erscheinen.
Der
Autor, der seit über
40 Jahren mit vielen Künstlern
zusammengearbeitet hat,
meint sagen zu können,
dass sich die Künstlerschaft
fast gleichmäßig
teilt in solche, die
froh sind, die letzten
entstandenen Bilder an
den Galeristen geben zu
können, um räumlich
und geistig Platz für
neue Arbeiten zu haben
-und die anderen, die
besorgt mindestens ein
Dutzend Werke hüten,
um eine Kontinuität
optisch belegbar zu
halten. Sicher gehörte
Karl Hofer zu der
zweiten Gruppe:
belegbar seit 1914 hat
er immer wieder gleiche
Themen aufgegriffen,
meistens, um sie am Maß
der Zeit strenger oder
deutlicher zu
formulieren, manchmal
aber auch weil er
damals noch sehr selten
ein Bild gleich
verkaufen konnte, das
Thema aber noch nicht
erschöpfend
"bearbeitet"
war. Ein Beispiel ist
das Bild "Im
Meersand", 1914;
die Fassung der
Staatlichen Kunsthalle
Karlsruhe , 139 x 140
cm, war 1967 als
Leihgabe zu einer großen
Ausstellung nach Köln
gekommen und dort in
den Katalog mit
Abbildung aufgenommen
worden. Zur gleichen
Zeit bereitete Herr Dr.
von Moltke in der
Kunsthalle Bielefeld
die Präsentation der
Morton D. May-Sammlung
aus Amerika vor, die
auch ein Bild von Karl
Hofer "Im
Meeressand“, 1914 -
aber 135 x 140 cm
enthielt. Der Sammler
und Leihgeber war zunächst
empört, glaubte er
doch „sein“ Bild fälschlich
in der Kölner
Ausstellung. Er war
dann aber nach Aufklärung
der Sachlage sehr glücklich,
zumal festgestellt
wurde, dass seine
Fassung die ältere
ist; wenngleich dem
Karlsruher Bild formal
ähnlich, nur in der
Farbgebung deutlich
unterschiedlich. Erst
in den folgenden Jahren
konnte bewiesen werden,
dass Hofer seit frühester
Zeit immer wieder
Themen in einem
Zeitraum von bis zu 30
Jahren achtmal und mehr
wieder aufgriff, wobei
keinesfalls die frühen
Fassungen etwa immer
die besseren waren,
sondern Stimmung und
Ausdruck nach und nach
eher an Reife gewannen.
Das
lässt sich auch von
den vielen
Selbstportraits ablesen
– mindestens einmal
pro Jahr trat sich der
Künstler im Spiegel
gegenüber, forderte
Rechenschaft von sich
selbst, legte Zeugnis
ab von eigener
Entwicklung und
Reifung.
Und
noch einen guten
"bösen"
Grund gab es für
diesen ernsthaften, ja
fast stets
melancholischen Künstler:
der Krieg brachte den
Verlust von hunderten
von Bildern, von
Manuskripten, die ihn
lange aufwühlend beschäftigt
hatten, zerstörte
Atelier (1. März 43 -
150 Bilder und ungezählte
Zeichnungen gingen in
Flammen auf) und
Wohnung, aber nicht
seine Kraft, das
darzustellen und zum
Bild zu formen, was
damals war. Im ersten
provisorischen Atelier
in Babelsberg
entstanden so von Juni
bis Ende 1943 genau 174
Bilder (ein beim Tode
der Witwe aufgefundenes
handgezeichnetes
Werkverzeichnis belegt
das) mit Themen, die
die zerstörter oder
verloren geglaubter
Bilder wieder
aufnahmen, und solchen
der Zeit. Es sind
verzweifelte Bilder,
die in den letzten
Kriegsjahren und nach
dem Zusammenbruch
entstanden. Themen des
Krieges sind
geschildert in fast
schreckhaften Bildern,
quälend dumpf und
lastend, keine
historischen Dokumente,
aber bis zu den Rändern
gefüllt mit der
Wirklichkeit und
Wahrheit dieser Zeit.
Keine Kunst im Dienste
einer Anklage, sondern
Aufschrei angesichts
einer Vernichtung, die
die Menschen selbst in
ihrem Wahn herbeigeführt
und vollzogen haben. Es
sind Bilder aus
tiefster Not
geschaffen, und dennoch
zuerst und zuletzt künstlerische
Manifestationen um
ihrer selbst willen -
dies gibt ihnen ihren
besonderen Rang.
In
den Ausstellungen von
etwa 1966 bis 1978
(100. Geburtstag) waren
Kritiker und Betrachter
in ihrer Erwartung
weitgehend noch geprägt
von der Erinnerung an
die Bilder Hofers, die
das Dritte Reich aus
den Museen Deutschlands
entfernt hatte, und die
man seither vermisste:
die großen, gültigen
Formulierungen der
Landschaften, überwiegend
aus dem Tessin, und der
Figuren - Frauen, Mädchen
und Jünglinge, der
Badenden und der Paare,
die ihr Leben führen
in einer enthobenen
Existenz, in einer
stillen, mit sich beschäftigten,
in sich versenkten
Menschlichkeit.
Seit
den großen
Ausstellungen zu Hofers
100.Geburtstag, u.a. in
Berlin, Köln und
Halle, und einer Reihe
von Dokumentationen und
Ausstellungen zur
Auseinandersetzung mit
der Kunst im Widerstand
und in der
Nachkriegszeit, erfährt
das Spätwerk der Jahre
1943 bis zum Tode 1955
zunehmend eine neue,
positive Bewertung.
Erstmals seit Hofers
Tod wurden ab 1979
wieder mehrere Bilder
der endvierziger Jahre
in wichtige deutsche
Museen aufgenommen. Übereinstimmend
bemerkten seitdem
Kritiker und Betrachter
die Tatsache, dass
Hofer zu den so wenigen
deutschen Künstlern
seiner Generation gehört,
die in Stilmitteln und
Ausdruck unmittelbar
auf die schrecklichen
Erlebnisse des Krieges
und der Nachkriegszeit
reagiert haben.
Der
damalige
„Kritiker-Papst“
Will Grohmann irrte
darum erheblich, als er
um 1953/54 postulierte,
die Reduziertheit des
Ausdrucks beim späten
Hofer sei
"lediglich
Wiederholungsschwäche
früherer
Bildthemen"; auch
der von ihm erhobene
Vorwurf, Hofer
"wiederhole ermüdend"
frühe Bildinhalte,
entsprang Grohmann's
Verwobensein in das
aufblühende "Informel".
Er kannte eben auch
nicht die oben angeführten
vielfältigen Belege für
die Wiederholungen bei
Hofer seit frühester
Zeit. Er konnte - auch
aus Mangel an
Publikationen in jener
Zeit - nicht überblicken,
dass einmal gefundene Lösungen
sich für den Künstler
verfestigt haben.
Besonders damals, als
fast alles verloren war
oder galt, musste Hofer
viele Themen fast
zwanghaft wieder
aufgreifen und konnte
ihnen nicht selten nun
endlich die prägnanteste,
weil auf das
Wesentliche reduzierte
Form geben.
Die
heute erwachsene
Generation, die die
vierziger Jahre nicht
mehr bewusst erlebt
hat, ist besonders
bereit, die Zeit aus
solchen künstlerischen
Zeugnissen heraus zu
begreifen - sie ist
eher unsicher gegenüber
Hofers Figuren- und
Landschaftsbildern aus
den zwanziger und dreißiger
Jahren, weil sie sie in
ihrer versöhnlichen Ästhetik
"als zu heil und
schön" empfindet.
Hinzu kommt sicher,
dass viele im Spätwerk
das ausgedrückt
fanden, was sie am Ende
der langen
nichtfigurativen Epoche
an Anspruch an gegenständliche
Bilder in einer Zeit
wiederbeginnender
Auseinandersetzung mit
dem Gegenstand und der
Person stellten.
Unschwer
entnehmen sie den
Bildern, wie die
Huldigung körperlicher
Schönheit und atmosphärischer
Sinnlichkeit der frühen
Jahre, durch Erlebnis
geprägt, zu knapper
und malerisch reduziert
geschilderter
psychologischer
Wertigkeit des
Dargestellten sich
entwickelt. Dazu zeigen
die letzten Lebensjahre
wieder große Freude an
reicher Farbigkeit -
die Benutzung der
Farben in ihrer vollen
Vitalität, manchmal
kontrastierend
nebeneinandergesetzt, läßt
Bilder entstehen, in
denen sich diese Farbe
zur Form der Figur
verdichtet, und eben
nicht die Figur als
solche Grund für die
Darstellung war.
Köln,
am 20.03.2001 Gerd Köhrmann
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